Hier mobbt der Chef

Ein Titan demontiert sich selbst

Ich oute mich. Jawohl, ich bin ein Castingshow-Fan. Egal, ob Superstars, Supertalente, der X-Faktor, Topmodels oder Popstars gesucht oder Stars gesearcht werden – ich bin dabei.  Nicht lückenlos, muss ich zugeben (auch ich habe innere Organe, die sich nicht alles gefallen lassen), aber mit wechselnder Begeisterung. Was mich dabei begeistert, ist die teilweise unglaublich gute Leistung der Kandidaten, die ihre Hoffnungen in solche Formate legen und dabei stimmlich manchen Profi in den Schatten stellen. Während von einigen Chartstürmern bekannt ist, dass sie ohne Verstärker und entsprechender Technik keinen geraden Ton ‚rausbringen, singen die Teilnehmer solcher Castingshows live, und das bisweilen so gut, dass man das Original nicht mehr hören möchte.

Gut, ein bisschen Voyeurismus ist vermutlich auch dabei – über manche Gestalten, die zu solchen Castings pilgern und von sich und ihrem Können überzeugt sind,  kann man abwechselnd lachen, weinen oder den Kopf schütteln. Ab und zu ist aber auch mal Fremdschämen angesagt – und damit meine ich nicht nur zur Selbstüberschätzung neigende Kandidaten, sondern vor allem Jury und Regie. Es grenzt schon manchmal an Körperverletzung, wie einige Kandidaten vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben werden.  Okay, sie haben einen Vertrag unterschrieben, der der Produktionsfirma das Recht einräumt, ihr öffentliches Versagen bis in alle Ewigkeit auf dem Bildschirm durchzunudeln, aber wenn schon der Zuschauer am Flimmerkasten erkennen kann, dass der Typ da auf der Mattscheibe einen IQ hat wie zehn Meter Feldweg und einfach nix dafür kann, sollten die Verantwortlichen vor Ort das doch eigentlich noch besser beurteilen können. Aber öffentliche Demütigung bringt halt Quoten…

Ganz weit vorne bei diesen Machenschaften ist die One-Man-Dieter-Bohlen-Show Deutschland sucht den Superstar. Ja sicher, die Jury besteht aus drei Personen, aber mal im Ernst – haben die beiden anderen tatsächlich eine eigene Meinung, und wenn ja, dürfen sie diese auch laut äußern? Dass dies nicht so ist, hat man wohl am deutlichsten in der aktuellen Staffel gemerkt, die vor vier Tagen zu Ende gegangen ist. In welcher anderen Show dieses Formats lässt sich die Jury so übertrieben groß ankündigen – am schlimmsten (natürlich) der König der Selbstdarstellung, seine Majestät Poptitan Dieter Bohlen himself. Sein Einmarsch in die Arena gleicht der Neros im alten Rom, wobei gewisse Parallelen dabei vermutlich nicht ganz zufällig sind. Eigentlich geht es hier aber doch um die Kandidaten, die ihr Können unter Beweis stellen sollen, oder habe ich da ‚was falsch verstanden?

Und die waren gut in dieser Staffel. Die nunmehr achte Staffel DSDS war die erste, in der alle 10 Kandidaten, die den Sprung in die Liveshows geschafft hatten, tatsächlich singen konnten. Das sollte sich zwar eigentlich von selbst verstehen,  war in den früheren Staffeln jedoch keineswegs so. Und das wiederum ist unverständlich, denn von angeblich 35.000 Bewerbern (wer hat das nachgezählt??) kommen ca. 120 in die engere Wahl (Fernsehdeutschland ist zeitversetzt dabei und kann sich deshalb ebenfalls ein Urteil bilden, wenn die Regie es uns erlaubt). 15 davon kommen durch die Jurybeurteilung und werden dem Fernsehpublikum zum Fraße vorgeworfen. Hier kommt zum ersten Mal der Zuschauer ins Spiel und greift zum Telefon, um seinen Favoriten eine Runde weiter zu wählen und RTL und die Telefongesellschaft zu bereichern. Bereits hier setzt die Meinungsbildung ein – die regiegesteuerte Bildung der Zuschauermeinung über einen Kandidaten mittels „investigativer“ Einspielfilmchen, die den Kandidaten dem Publikum vorstellen sollen. Darin ist von allem möglichen die Rede – private Streitereien, soziales Umfeld, Hobbies etc., nur von Musik oder dem bisherigen künstlerischen Werdegang oder entsprechenden Wünschen und Zielen des jeweiligen Kandidaten wird kaum gesprochen. Ja, wählen wir den Kandidaten denn nun in die nächste Runde, weil er privat Bierdeckel oder Schlümpfe sammelt oder weil er uns mit seinem Auftritt überzeugt hat?

Blöd nur, wenn ein Kandidat so gar keine Angriffspunkte bietet. Saubermann-Image, perfekte Bühnenleistung und gutes Aussehen – wie langweilig für die Sensationspresse. Da muss sich doch was machen lassen!  Aktuelles Beispiel: Marco Angelini, Viertplatzierter der aktuellen Staffel. Bis zur 5. Mottoshow schien er noch der Favorit der Jury zu sein (völlig zu recht übrigens – einer der besten Sänger in diesem Wettbewerb), plötzlich kippte das Ganze. Was war geschehen? Das wird wohl offiziell Bohlens Geheimnis bleiben, ist aber auch mit dem gesunden Menschenverstand leicht zu durchschauen:

Gesucht wird ein Superstar. Der soll – bitte schön – CDs verkaufen (wieso heißt das eigentlich immer noch „Plattenvertrag“?), zur vereinbarten Zeit am richtigen Ort sein und die Zielgruppe zufriedenstellen. Auf keinen Fall soll er eine eigene Meinung haben und die womöglich auch noch vertreten. Pflegeleicht soll er sein und spätestens nach einem Jahr ohne zu murren wieder in der Versenkung verschwinden, um den Weg frei zu machen für den neuen „Superstar“, der ja dann bereits in den Startlöchern steht.

Das hätte sich mit Marco Angelini schwierig gestaltet. Der junge Mann konnte zwar auf Anhieb eine große Fangemeinde hinter sich bringen und überzeugte stets mit Leistung, so dass im Falle eines Titelgewinns der CD-Absatz gesichert gewesen wäre. Allerdings ist er – zum Leidwesen eines Musikdiktators wie Bohlen – auch mit einer gehörigen Portion Hirn gesegnet, gepaart mit dem Willen, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen und sich selbst treu zu bleiben. Dass er bereits zu einem Zeitpunkt, in dem er noch im Wettbewerb war, öffentlich Kritik am Sendungsformat äußerte, machte ihn unbequem und ließ die Zukunft des allmächtigen Produzenten mit einem Superstar wie ihm nicht gerade komplikationslos erscheinen. Fortan wurden seine Auftritte konsequent negativ beurteilt, wobei ich mich manchmal gefragt habe, ob ich gerade denselben Auftritt gesehen hatte wie Bohlen und Co. Entsprechende negativ besetzte Einspielfilmchen als Ankündigung der Auftritte sollten ihr Übriges tun.

Bis zur 8. Mottoshow hielt Marco Angelini trotzdem durch und wurde einer der TOP 4. Seine Karriere sollte allerdings durch seine guten Leistungen und seine Personality bereits im Rollen sein und die des neu gekürten Superstars locker überdauern, da er nach Ablauf der Wartezeit (3 Monate nach Staffelende) wie alle anderen Kandidaten nicht mehr an die Produktionsfirma gebunden ist und mit Hilfe der  Musikgrößen, die er bereits hinter sich hat, durchstarten kann.

Es ist nun aber nicht so, dass Angelini der erste Kandidat wäre, der eigentlich heißer Favorit auf den Titel war und während der Staffel in Ungnade gefallen ist. Da gab es schon mal jemanden in der 3. Staffel, Nevio Passaro, der übrigens erstaunliche Parallen zu Angelini aufweist, mal abgesehen vom italienischen Namen: beide während der verschiedenen Staffeln im selben Alter (26), beide mit abgeschlossenem Universitätsstudium, beide scheinfrei, aber die Doktorarbeit noch vor sich, beide schieden als Viertplatzierte aus. Auch Passaro hatte sich damals darüber geäußert, dass die Meinung der Zuschauer über die Kandidaten bewusst in eine bestimmte Richtung gedrängt wurde, um einen unbequemen Kandidaten loszuwerden. Nevio Passaro hat nach seinem Ausscheiden übrigens seine Doktorarbeit geschrieben und ist nach der „DSDS-Stillhaltephase“ von drei Monaten wieder ins Musikgeschäft eingestiegen – mit immer noch andauerndem Erfolg übrigens. Bleibt zu hoffen, dass der frisch gekürte Superstar Pietro Lombardi nach dem kommerziellen Erfolg der ersten CD (die ist ja immer ein Selbstläufer) nicht fallen gelassen wird wie eine heiße Kartoffel. Wenn er Menschen um sich hat, die es gut mit ihm meinen und nicht nur auf den schnellen Euro schauen, sondern darauf, dass er auf längere Zeit seine Nische findet, könnte das tatsächlich der erste deutsche „Superstar“ sein, der aufgrund seiner eigenen ganz besonderen Art dauerhaft in diesem Haifischbecken durchhält. Wünschen wir ihm das Beste!