Facebook and the Walk of Fake

Der Ehrliche ist der Dumme

Das Internet hat sich in den letzten Jahren bezüglich der privatgebräuchlichen Nutzung stark verändert. Machte zuerst der Umstand den Reiz aus, dass man Kontakt zu möglicherweise interessanten Leuten aufbauen konnte mit gleicher Gesinnung in mannigfaltigsten Bereichen, die man ansonsten aufgrund weiter Entfernung beispielsweise nie hätte kennen lernen können, so hat sich die Präferenz der Privatnutzer inzwischen dazu verlagert, den Kontakt mit Leuten zu pflegen, die man sowieso schon kennt und nur deswegen nicht mehr anruft oder im Café trifft, weil man den ganzen Tag online vor dem PC verbringt. Ich selber stelle mir dabei immer gerne die Frage, ob es nicht auch seine Bewandtnis haben könnte, dass ich mit dem Klassenarsch aus der Grundschule, seit deren erfolgreicher Absolvierung, keinen Kontakt mehr hatte und den heute übers Internet auch nicht auffrischen möchte. Aber offenbar sehen das viele Leute anders, denn die erste Internetplattform, die die virtuelle Wiedervereinigung von Realbekannten entscheidend vorangebracht hatte, war stayfriends.com.

Aber facebook.de zeigt uns am deutlichsten, wie hörig die Leute vorgehen, wenn sie glauben, dass das Internet ihre Individualität fördert. Besonders junge Leute – also Teenager – verlieren jedwede Hemmungen und Diskretion, wenn sie gemütlich auf dem Sessel daheim ihren Account pflegen und die Partyfotos vom Wochenende einstellen. Oder gleich alle facebook-User zu ihrer Geburtstagsfeier einladen. Wenn man vorher noch seine Wohnadresse eingetragen hat, werden ja wohl diesmal ein paar Leute kommen, nachdem man beim letzten Geburtstag mit Pippi in den Augen zu den Hits von Juli und Pur darauf gewartet hat, dass außer Kalle Klabuster (dem Klassenarsch aus der 4.) noch jemand zur Party kam, und die Mama dann gegen 23 Uhr auch die letzten Hoffnungen zerschlagen hatte, als sie den vollen Teller Mohrenköpfe (heißen inzwischen Schaumküsse) beiseite gestellt hat und die Musik mit Hinweis auf die fortgeschrittene Uhrzeit abgedreht hatte. Kalle Klabuster war bereits gegen 20 Uhr von seiner Mutter abgeholt worden. Solche Reinfälle immerhin gehören dank facebook der Vergangenheit an. Auch die Ausreden am nächsten Tag, als der enttäuschte Jubilar seine sogenannten „Freunde“ (damals ja online noch nicht erfasst und ratifiziert und somit keine echten) zur Rede stellte und Ausreden kamen wie „Oma gestorben“, „Hausarrest gehabt“ oder „Navi ausgefallen wegen Sonnensturm“. Letzteres konnte leicht als Lüge erkannt werden, weil es weder Navis noch Sonnenstürme gab, aber bei den ersteren war man machtlos. Heute wird ZACK auf dem facebook die Freundesaktivität gesetzt, und man findet heraus: Egon war im Pussyclub Kannapé und Nadja in Michelles Nagelstudio zu der Zeit, denn Egon hat es auf seinem iPhone selber von dort getwittert und bei Nadja ergibt die Auswertung ihrer Mobilfunkdaten, die sie für ihre Freunde freigeschaltet hat, ebenjene Position zu der fraglichen Zeit. Neuerdings kann man sogar facebooks gesamte Bilderdatenbank zum Facematching benutzen und sogar eventuelle Schnappschüsse aus den städtischen Hallen des Trunkes und Gesanges nutzen, um derlei Skandale selber aufzudecken. Hätte die Stasi seinerzeit mal ein paar Gadgets des Internets zur Verfügung gehabt wie Browsergames oder diese herrlich sinnvolle Funktion, sich gegenseitig Herze und Umarmungen per Kurzbenachrichtigung auf der Pinnwand senden zu können, der gesamte Ostblock hätte freudekreischend seine eigenen Stasi-Akten angelegt und der Westen hätte noch jubelschreiend mitgemacht. Aber außer der Schlussfolgerung, dass der Kapitalismus letztendlich doch nur der bessere Kommunismus ist, bleibt den Veteranen des Stalinismus leider kein Triumph. Facebook ohne Internet wirkt dann doch zu abschreckend, so wie die nackte Wahrheit, die erst in einer Lüge gewandet viel angenehmer erscheint.

Es ist natürlich toll, wenn man für ein frivoles Bild, das in Sektlaune eingestellt wurde, erst einmal viele Komplimente von Freunden wie Voyeuren gleichermaßen erhält. Natürlich kann man dieses Bild dann am nächsten Tag reumütig löschen – ungeachtet der Tatsache, dass es der ganzen Welt zugänglich gewesen ist und theoretisch unzählige Male kopiert und verbreitet worden ist. Aber die Daten, die facebook einmal hat, die hat es nun einmal. Das betrifft auch sonstige Angaben, die man mal getätigt hat, Fotoalben, die man angelegt hat, Freundeskreise, die man gespeichert hatte, Emails, die man angegeben hat, Kontaktdaten, die man freigeschaltet hat, um die facebook-Mitgliedschaft seiner Bekannten nachzuprüfen, etc.. Mit der Zeit kommt da einiges zusammen. Natürlich kann man da jetzt fragen „Warum sollte facebook so etwas tun?„ Aber die Antwort ist die gleiche, wie auf die Frage, warum Hunde sich an den Eiern lecken. Weil sie es können. Und weil es ihnen nicht weh tut. Das Argument „das können die doch gar nicht alles speichern“ habe ich auch zuletzt noch gehört, aber dabei wird gerne vergessen, welche Kapazitäten von Speichern solchen Killiardenunternehmen heute problemlos zur Verfügung stehen. Mit Trockeneis gekühlte, kühlschrankgroße Festplattenschränke mit tonnenschweren Speichermedien im MB-Bereich sind inzwischen von effizienterem Gerät abgelöst worden – diese Erkenntnis traf selbst mich wie ein Blitz, als ich gesehen habe, wie viel TB (das heißt Terabyte, was danach kommt, weiß ich noch nicht, aber facebook sicher schon längst) ich als Privatmann schon für einen schlappen Hunderter erwerben könnte. Google schenkt mir als googlemail-Account-Nutzer aktuell 7593 MB allein, um meine lustigen Mails zu speichern. Da ich sicher nicht der einzige Nutzer des Google-Mailservices bin, ist das also ne Menge Holz pro Kopf. Und wenn nun facebook sagen wir mal lächerliche 1GB – also nicht einmal ein Siebtel von dem, was Google jedem User zugesteht – pro registriertem User veranschlagt, um alles Mögliche über ihn zu speichern, dann wäre das auch eine Menge Holz pro Kopf. Bis das an Bildern und Tweeds verbraten ist, braucht es schon eine Menge Mitteilsamkeit. Wobei ich auch nicht die Illusion hege, dass meine Googlemails nur ich allein einsehen kann, Google wird das auch können. Aber die darin enthaltenen Informationen müssten weitaus komplizierter ausgewertet werden als auf facebook, was letzten Endes aber auch nur bedeutet, dass die Eier vom Hund was weiter hinten hängen. Denn die gesamte Konstruktion der sogenannten Cloud trägt eben in sich das Risiko, dass das, was andere verwalten, auch von anderen beherrscht wird. Doch seit je her ist es ja auch so gewesen, dass theoretisch jeder Rechner, sobald er mit dem Internet verbunden ist, fremden Zugriffen ausgesetzt worden ist. Die Selbstbestimmung der virtuellen Privatsphäre hat demnach schon lange ausgesetzt, auf den real-life-angepassten Plattformen wie facebook hat diese Aussetzung lediglich eine neue Form erreicht, die damit getoppt wird, dass jeder User dabei freiwillig mithilft. Da nutzen dann auch die beste Firewall und der aufwendigste Virenscanner nichts. Und da jeder „Freund“ auch noch mithelfen kann, die Gläsernheit seines Nächsten weiter auszukristallisieren, ist es auch nicht damit getan, sein Konto so anzupassen, dass keine ungewünschten Infos weitertransferiert werden. Denn jeder kann Fotos von anderen einstellen, Kommentare abgeben oder sonst wie Daten veröffentlichen. Aber auch die Setzung der sogenannten Filter verhindern nur, dass andere User selektierte Angaben nicht zu sehen bekommen; facebook sieht ALLES. Was sie damit tun? Nun, was immer sie wollen. Da sie vieles nicht dürfen, heißt das nur, dass sie es nicht nachvollziehbar tun.

Aber niemals zuvor ist der eigene Anteil der Beihilfe am Missbrauch seiner Daten so groß gewesen wie bei der Generation facebook. Ein großes Maß an Unbedarftheit ist da sicher mit dabei, aber der ist auch bei Leuten, die den tollen Job per Email angenommen haben, bei denen man nur eine Email-Adresse und ein EU-Bankkonto braucht, um nichts weiter zu tun als ein paar Zahlungen über sein Konto ins Nicht-EU-Ausland weiter zu leiten.

Eine Bekannte von mir konnte neulich gar nicht verstehen, dass ich es nicht in Ordnung fand, plötzlich ungefragt Partybilder ihres letzten Geburtstages auf facebook zu finden, in denen man auch mich gut und deutlich erkennen konnte. Motzig und verstimmt nahm sie dann die Bilder mit mir drauf wieder heraus, aber bei facebook sind sie natürlich immer noch. denen ich zu sehen bin, schon gar nicht mit Markierungen, gab ihr nicht zu denken.

Ich nehme an, dass diese verharmlosende Haltung überwiegt, denn facebook wird gemeinhin als Fun-Seite wahrgenommen, die soll gute Laune machen und die Menschheit erfreuen. Wer kann denn anderes im Sinne haben, wenn er den Menschen so schöne Spiele wie Farmville oder Happy Aquarium schenkt? Sicher gelte ich daher für viele Menschen im www als paranoid und verbohrt. Wenn ich aber auf facebook einstelle, dass die Amerikaner neulich einen alten Berber mit Turban und Rauschebart erschossen, verbrannt und posthum als Bin Laden bezeichnet haben, obwohl dieser schon lange zusammen mit Hitler und Elvis (der lange für den KGB gearbeitet hatte) in einem Gefängnisraum im Keller des Pentagon sitzt, dann gefällt binnen Stunden 50 Menschen dieser Beitrag. Wenigstens habe ich noch keine 1000 Freunde auf facebook, denn ab dieser Zahl steigt die Zahl der Tage, die man allein unbemerkt tot in seiner Wohnung rumliegt, dramatisch.